Kontrollraum IV

Tschernobyl

Die Stadt
Prypjat

Das
Kernkraftwerk

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Foto oben:
Der Kontrollraum von Block III.

“Wladjmir-Iljitsch-Lenin-Kraftwerk”, so lautet der offizielle Name des KKW Tschernobyl. Ein riesiger Gebäude-
komplex auf einem mehreren Quadratkilometer grossen Areal mit Platz für 6 Atomreaktoren.

Das Kraftwerk befindet sich nicht - wie der Name vermuten lässt - in Tschernobyl, sondern rund 10 km nördlich davon, bei der Stadt Prypjat am gleichnamigen Fluss.

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Ursprünglich waren 4 Reaktorblöcke in Betrieb. Deren Leistung betrug insgesamt ca. 4’000 Megawatt (MW).

Zwei weitere Blöcke V und VI befanden sich im Bau.

Zum Vergleich:
Die Leistung des stillgelegten KKW Mühle-
berg in der Schweiz betrug ca. 370 MW.

Situationsplan

Situationsplan des KKW

Orange: Der zerstörte Block IV mit dem eingestürzten Dach der Maschinenhalle.

Nach der Katastrophe blieben die anderen drei Blöcke noch während Jahren in Betrieb und produzierten Strom. Sie wurden - nicht zuletzt auf Druck der internationalen Atomenergbehörde - gestaffelt abgeschaltet:

          Block II     -  1993   Im Jahr 1991 beschädigte eine Wasserstoffexplosion die Turbinenhalle und die beiden
                                         Generatoren schwer. Der Reaktor konnte abgeschaltet werden. Er wies nur minimale
                                         Schäden auf.

          Block I      -  1996   Infolge eines Bedienungsfehlers überhitzte 1992 ein Brennelement und wurde zerstört.
                                         Ein schwerer Unfall. Es trat Radioaktivität aus, die bis nach Prypjat gelangte.     

Vorplatz beim Eingang zum Verwaltungs- und Betriebsgebäude mit grosser Wandmalerei an der Fassade einer Turbinenhalle.
Gemalt 2019 von Valeri Korshunov. Grösse des Kunstwerks: 58 x 18 m.

Das Kunstwerk trägt den sinnigen Titel “Schaue in die Zukunft”.

Vorplatz beim Eingang zum Verwaltungs- und Betriebsgebäude. Im Hintergrund die Bauruinen der Blöcke V und VI.

Hier standen am 25. Februar 2022 russische Panzer.

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Nach 40 Jahren sind der Reaktor und die benachbarten Räume immer noch stark strahlenverseucht. Vor allem die Intensive Gamma-Strahlung verursacht gravierende gesundheitliche Schäden. Sie führt in bei hoher Dosierung zum Tod.
pfeil_0228c8  Strahlenkrankheit

Nach umfangreichen baulichen und Reinigungsmassnahmen liegt die Strahlenbelastung im für Besucher zugänglichen Teil des KKW im ungefährlichen Bereich.

Immerhin sind auf dem Areal und im Gebäudekomplex des KKW jeden Tag ungezählte Ingenieure, Techniker und Arbeitetr tätig.

Die Strahlenschutzmassnahmen sind rigoros.

Personenschleusen

Sie gibt’s gibt’s an jedem Checkpoint und vielen Orten in den Gebäuden. Sie müssen zwingend passiert werden.

Die Schleusen dienen der Kontrolle der Strahlenbelastung.

Sogar vor dem Eingang zur Kantine stehen die Dinger.

Die unterirdische, einsatzbereite Kommandozentrale für Notfälle. Sie wurde auch nach dem Unglück 1986 benutzt (die Russen waren im Februar 2022 auch da).

Wir wurden gewarnt, die Telefonhörer nicht abzuheben, da es sonst am anderen Ende der Leitung als Notfall läutet. . . emoji_dx

Natürlich gibt’s hier auch einen Schlafsaal mit gefährlichen Metall-
kanten (!), eine Notstromanlage usw.

Das Dieselaggregat scheint allerdings seine beste Zeit längst hinter sich gelassen zu haben.

In der ehemaligen Informatik-Abteilung des KKW.

Ein nostalgischer Blick in die Datenverarbeitung Mitte der 80-er Jahre.

Das war bei uns im Westen damals aber auch nicht viel anders.

Die (damals modernen) Bandstationen stammten übrigens nicht aus russischer Produktion, sondern von der Firma JENA in Deutschland.

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Der Goldene Korridor

Der Name “Goldener Korridor” bezieht sich auf die Wandverkleidung mit gildfarbenen Alu-Profilplatten. Offen--
bar war damals nur eine goldfarbene Variante lieferbar. So jedenfalls versicherte uns ein KKW-Mitarbeiter. . .

Eine durchgehende Verbindung über die ganze Länge des Verwaltungs- und Betriebsgebäudes. Vorbei an allen 4 Reaktorblöcken, Kontrollräumen und Maschinenhallen.

Insgesamt mussten die Arbeiter vor dem Unfall von einem Ende zum andern fast 800 m (!) zu Fuss zurücklegen.

Der videoüberwachte Zugang zum Kontrollraum von Block I (БЩУ-I).

Rechts:
-  Blick vom goldenen Korridor auf das Gebäude von Reaktor I.

Dieser Kontrollraum ist unverzichtbar und heute noch in Betrieb.

Hier wird die Stromversorgung und -Verteilung innerhalb des KKW-Komplexes gesteuert und überwacht.

Betontreppen und Korridore wurden nach dem Unfall mit dicken Plastikfolien ausgelegt und verschweisst.

Damit liessen sich die regelmässig notwendigen Dekontaminations- und Reinigungsarbeiten - entfernen von strahlenbelastetem Staub - effizienter erledigen.

Wie man unschwer sehen kann, ist die Lebensdauer der (defekten) Folien nach 40 Jahren längst überschritten.

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Der Kontrollraum von Block III. (Zustand Herbst 2021) - Er ist praktisch baugleich mit dem vom Unglücksreaktor IV.

Interessant: Aufwändiger Bodenbelag - für einen Kontrollraum.

Details aus dem Kontrollraum von Block III.

Querschnitt durch einen RBMK-Siedewasser-Atomreaktor. In etwa heisst das: “Graphitmoderierter Hochleistungsreaktor”.

Dieser Reaktortyp wurde ausschliesslich in der russischen Föderation verwendet, z.B. in Leningrad, Kursk, Smolensk, Ignalina (Litauen).

Die Grafik entspricht dem Typ, wie er in Tschernobyl in Betrieb war.

pfeil_0228c8  Infos zum RBMK-Reaktor

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Der ehemalige Kontrollraum des explodierten Reaktors IV im Herbst 2021.

Ein desolater Zustand.
Es sind praktisch nur noch die vergammelten Gehäuse der Instrumente übrig geblieben. Viele der Instrumente wurden als Ersatzteile ausgebaut, für Test verwendet oder als Souvenir gestohlen.

Hier wurden in der Nacht vom 26. April 1986 Knöpfe gedrückt und Schalter betätigt, was schlussendlich zur Katastrophe führte.

Ein geplanter Sicherheitstest ging schief. Der verantwortliche Chefingenieur  pfeil_0228c8  Anatoli Djatlow hat den instabilen Zustand des Reaktors zu spät erkannt.

Die unvorbereitete Bedienmannschaft war überfordert. Zudem wies das technische Konzept des Reaktors gravierende Mängel auf.

Teil der Bedienkonsole

Links im Bild der schwarze Schalter mit der Bezeichnung A3-5 (der mit der geöffneten Schutzklappe.
Wichtige Schalter waren versiegelt.

Er leitet die Schnellabschaltung des Reaktors ein.

Er wurde in der Unglücksnacht vom 26. April zu spät betätigt und konnte die Katastrophe nicht verhindern.

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Das Problem:
Bei diesem graphitmoderierten Reaktortyp (RBMK) erfolgt - technisch bedingt - bei einer Notabschaltung kurzfristig eine Leistungserhöhung des Reaktors, bevor er heruntergefahren wird. Der Reaktor befand sich aber bereits in einem instabilen Zustand.

Der Ingenieur Valery Khodemchuk war der erste offizielle Tote der Katastrophe.

Er war mit Arbeiten im Turbinenraum beschäftigt, als der Reaktor explodierte. Er war sofort tot.

Die Gedenkstätte beim Block IV erinnert stellvertretend an alle beim Unglück Verstorbenen.

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Ursprünglich war der Kontrollraum von Block  IV wesentlich grösser.

Zur Abschirmung der radioaktiven Strahlung erfolgte vor einigen Jahren der Einbau einer Strahlenschutzwand (die weisse Mauer im Foto links).

Wenige Meter dahinter befinden sich die Überreste des Reaktors. Der Aufenthalt in diesem ehemaligen Kontrollraum ist zeitlich beschränkt.

Kontrollpanel für die Steuer-, Kontroll- und Brennstäbe des Reaktors IV. Viele der Abdeckungen der über 1’600 Anzeigen gingen verloren oder wurden entwendet.

Rechts:
-  Teil des vergammelten Steuerpanels heute.

Die Maschinenhalle von Block III.

Die quadratischen Öffnungen im Boden dienten dazu, die Steuer- Kontroll- und Brennstäbe zu warten und auszuwechseln. Insgesamt waren dies über 1’600 Stück.
Diese Arbeiten erledigte die Maschine rechts im Foto.

Der Kernreaktor befindet sich wenige Meter unter der runden Abdeckung.
Das radioaktive Material wurde nach der Stilllegung des Reaktors entfernt.

Nebenbei:
Die Blauhelme sind Mitarbeiter des KKW, die orangen sind Besucher, wie wir.

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Aus dem Reaktor ausgebaute Steuer- und Kon-
trollstäbe.

Modell des zerstörten Blocks IV.

In der Mitte der Reaktor (braun) mit der durch die Explosion verdrehten Abeckung. Die braunen “Spaghetti”, das waren dünne Rohre. In diesen zirkulierte Wasser, das durch den Reaktor erhitzt wurde.

Der Deckel hatte ein Gewicht von über 1’500 Tonnen. Er wurde durch das Dach 30-40 m (!) in die Luft geschleu-
dert und fiel dann verdreht zurück auf den Reaktor.

In diesem Bereich besteht immer noch eine extrem hohe radioaktive Strahlung.

In der grossen, hellen Kantine des KKW mit topmoderner Küche. Immerhin mit eleganter rosa Sardo Granitab-
deckung.
Das Essen war reichhaltig und durchaus gut.

Ja, auch hier herrschte strikte COVID-Maskenpflicht (Herbst 2021).

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Die Bauruinen der geplanten Blöcke V und VI.

Alles rostet und gammelt vor sich hin. Kräne und halbfertige Masten stehen unverändert seit 1986.

Die Bauarbeiten fanden wegen des Unglücks ein jähes Ende. Ein Rückbau der Gebäude und Installationen ist in absehbarer Zeit nicht vorgesehen. Es fehlen die notwendigen finanziellen Mittel. Zudem geht von diesen Bauruinen keine unmittelbare Gefahr aus.

Der neue Sarkophag für die Ruine von Block IV, New Safe Confinement (NSC) getauft. Fertiggestellt 2019.

Das halbrunde Gebäude ist riesig, mit viel Technik ausgestattet und enorm teuer.

Höhe:                    108 m (höher als die Freiheitsstatue in New York.
Spannweite:         257 m
Länge:                  162 m
Gewicht:               ca. 36’000 Tonnen

Kosten:                 Über 2 Milliarden Euro
Lebensdauer:      geschätzte 100 Jahre

Die Liste der Länder, die einen Beitrag an die Kosten des NSC geleistet haben.

Interessant, dass Russland - also die frühere UdSSR in deren Republik Ukraine das KKW stand - nicht unter den grössten Beitragszahlenden zu finden ist. . .

Mit dem NSC soll der Austritt von radioaktivem Material (Gase, Staub, Wasser) verhindert werden.

Zudem ist im NSC die aufwändige Technik für den Abbau der strahlenden Ruine installiert. Allein der Strahlenschutz für die Arbeiter erforderte den Einbau von über 500 Tonnen Blei- und Metallabschirmungen.

Unter der klimatisierten und staubdichten Kuppel soll in den nächsten 40 - 50 (!) Jahren der Rückbau statt-
finden. Für die Aufarbeitung des schwach radioaktiven Materials wurde auf dem Areal eine Wiederaufbe-
reitungsanlage erstellt.

Wann und wie der geschmolzene, hoch radioaktive Reaktorkern abgetragen werden soll, ist offen.

Was nach Ablauf der Lebensdauer des NSC geschehen soll, weiss niemand. Muss dann ein dritter - noch grösserer - Sarkophag gebaut werden?

Zu bedenken ist:
Die Halbwertszeit von Plutonium 239 beträgt über 24’000 Jahre, diejenige von Cäsium 137 etwa 30 Jahre.

Fazit:

Die Geschichte des KKW Tschernobyl ist noch lange nicht zu Ende.